Hobbysportler sind auch nur Alkoholiker

Exakt zu dieser Stunde rennen gerade mehrere tausend Bergläufer und Wanderer den alljährlichen Karwendelmarsch. Mit blutigen Beinen, blasenübersäten Füßen, einem Blutdruck der normalerweise nur in einem Kelomat vorherrscht und völlig außer Atem stapfen sie im wunderschönen Karwendel umher. Was das genau mit einem Naturerlebnis zu tun hat, kann ich leider nicht beantworten. Und weiter geht es in circa 24 Stunden. Da startet die nächste Tortour für Hobby-Sportler, der Ötztaler Radmarathon. 238 Kilometer, 5.500 Höhenmeter reinste Qualten. Doch wieso erfahren beide Ereignisse einen solchen Hype? Wieso tun sich so etwas immer mehr Menschen an? Ein gesellschaftliches Phänomen, das zu Denken geben sollte und das ohne Doping kaum mehr möglich ist.

Meist beginnt das Ganze mit dem Willen sich selbst etwas Gutes tun zu wollen. Die Essgewohnheiten werden verändert, das alte Mountainbike aus dem Keller geholt und geputzt. Alles gute Absichten, eine gute Sache. Doch dahinter stecken schon Mechanismen, die ein größeres Unheil bewirken können. Sonntägliches Mountainbiken und Gemüse-Fressen als Einstiegsdroge quasi. Denn faul auf der Couch zu liegen, einmal in den Tag reinzuleben, sich kein Ziel gesetzt zu haben, außer die Sonnenstunden zu genießen, sind in unserer heutigen Gesellschaft kaum mehr salonfähig. Wenn sich tausende Menschen, bei einem Massenstart dazu aufmachen eine Fahrrad-Rundreise zu absolvieren, für die der menschliche Körper eigentlich nicht geschaffen ist, ist das deutlich respektierter. Wer sich keine Ziele setzt wird zum Aussenseiter. Schwach. Und eines ist klar. Wer seine Ziele immer und immer wieder erreicht, der steckt sich immer höhere. Bis diese so hoch sind, dass es weh tut sie zu erreichen.

Es ist noch früh, beim Massenstart zum Ötztaler Radmarathon. (Foto: Ötztaler Radmarathon 2012)
Es ist noch früh, beim Massenstart zum Ötztaler Radmarathon. (Foto: Ötztaler Radmarathon 2012)

Bis zu einem gewissen Grad kann man sich dann mit externen Mitteln behelfen. Dann werden die normalen Wanderstöcke plötzlich zu welchen aus Carbon und das Fahrrad verliert ebenso an Gewicht wie jener menschliche Motor der auf ihm sitzt. Doch irgendwann ist der Materialkrieg ausgefochten und der eigene Körper wird zum Kanonenfutter. Denn wer sich immer höhere Ziele setzt und bereits auf dem ultraleichten Rennrad sitzt, der hat kaum mehr Möglichkeiten nach oben. Supplemente nehmen Einzug. Eiweißshakes werden getrunken, andere Nahrungsergänzungsmittel geschluckt, Gels geschlürft und Pillen eingeworfen. Das meiste harmlos, vieles natürlich. Doch wenn gestandene, gesunde Männer erzählen, dass sie beim nächsten Radmarathon präventiv einen Magenschutz einnehmen, weil vor Anstrengung die Magensäure hochkommt und alles verätzt, dann ist ein Punkt erreicht an dem man skeptisch werden sollte.

Nicht, dass ein Magenschutz schwerwiegende medizinische Folgen nach sich ziehen würde. Aber er ist ein Medikament und sicher nicht dazu gedacht Hobby-Ausdauersportler irgendwie am Rad zu halten. Und erst einmal eingenommen, verringert er eine natürliche Hemmschwelle, was fatale Folgen nach sich ziehen kann. Denn wenn Nahrungsergänzungen nicht mehr helfen und die Psyche bereits darauf gedrillt ist, dass nur mehr „schneller, höher, weiter und länger“ zählen, dann ist aus dem Wunsch sich etwas Gutes tun und seine Ziele erreichen zu wollen, ganz schnell eine ausgewachsene Aggression gegen den eigenen Körper geworden. „Jeder Dritte dopt“, „Schmerzmittelmissbrauch im Hobbysport unterschätzt“, „Wenn der Nachbar immer schneller wird – ist das gefährlich“ wird hier getitelt. Dahinter steckt ein Massenphänomen, das seinen Ursprung tief in unserer Gesellschaft findet. Ein perverser Auswuchs also. Nicht unnähnlich dem Phänomen des Alkoholikers.

Ich bitte diese Zeilen nicht falsch zu verstehen. Ich habe größten Respekt vor Menschen die sich Ziele setzen und diese auf Grund herausragender physischer und psychischer Leistungen auch erreichen. Auch in meinem persönlichen Umfeld kenne ich manche, die die Grenzen zwischen Amateur- und Profisport schon längst überschritten haben und dies auf beeindruckende Art und Weise. Es geht mir hier darum aufzuzeigen, dass solche Events wie der Karwendelmarsch und der Ötztaler Radmarathon, die beide für den heimischen Tourismus sehr wichtige sind, auch eine gewisse Verantwortung tragen und dieser auch nachkommen sollten. Wenn mehrere tausend Menschen in einem Massenauflauf an den Start gehen, dann kann es bei weitem nicht das Ziel sein dieses Rennen zu gewinnen, sondern sich selbst zu überwinden, über die eigenen Grenzen zu gehen und es sich selbst zu beweisen. Weil du es dir Wert bist.

Eine Gesellschaft in der es sich die Menschen nur mehr selbst Wert sind, wenn sie ständig höher gesetzten Zielen hinterherhetzen, die sie nur durch Material-, geistiges und anderes Doping erreichen,  dann ist das eine gefährliche Entwicklung, ein aggressives Verhalten gegen sich selbst und damit das Gegenteil des von Natur aus gegebenem Selbsterhaltungstriebes. Eine Gesellschaft die es den Menschen unmöglich macht im normalen Leben ihre Ziele zu erreichen, sei es mit der Familie, im Beruf oder anderswo, die treibt sie zu tausenden ins Abseits … auf den Berg zur Massentortour, oder Mitten in den Alkoholismus. Eine Gesellschaft die heute und morgen gerne sporteln darf, aber auch einmal nachdenken sollte.

Hobbysportler sind auch nur Alkoholiker
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Von in Sport Brugger